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Ich fühle mich nicht wohl, mir ist nicht gut, ich bin erschöpft. Muss ich wirklich auf diesen Berg? Welcher Eitelkeit bin ich nur gefolgt? Wenn ich jetzt abbreche, begleiten mich die Männer zum Lagerplatz zurück und starten den Gipfelanstieg morgen von Neuem, während ich an Lager 5 warte. Dann dauert die Höhentortour noch weitere zwei Tage, das will ich auch nicht.
Diese Gedanken gehen mir am 9. Dezember 2000 durch den Kopf. Wir sind auf etwa 5.600 m Höhe, die Morgendämmerung zieht auf.

„Komm, Mädchen“, muntert mich Manfred auf. „Wir sind schon so weit gekommen, du packst das! Hat ja keiner gesagt, dass es ein Sonntagsspaziergang wird.“
Nein, das nicht. Ich habe gewusst, auf was ich mich einlasse – zumindest habe ich viel übers Höhenbergsteigen gelesen. Und ich bilde mir ein aus den Berichten herausgehört zu haben, wie es sich körperlich anfühlen könnte. Aber es real zu spüren, ist doch eine andere Sache.
„Weißt du,“ Manfred schaut mich an. „Was ich an Frauen bewundere, ist, dass sie Kinder gebären können. Diese Schmerzen, diese Tortour, kein Mann würde das aushalten. Das bisschen Kopfweh und Unwohlsein heute, kannst du doch nach zwei Geburten locker aushalten!“ Manfred, du bist einzigartig! Dinge, die gar nicht zusammenpassen, bringst du doch zusammen. Und du kitzelst meinen Ehrgeiz an den empfänglichen Stellen. Ich motiviere mich in Gedanken: ‚Reiß dich zusammen, Anne-Bärbel. Du bist erst 38 und nicht wie die Männer schon über 50. Es ist nur ein Sechstausender und nicht der Everest! Du kommst Mutti auf ihrer Wolke im Himmel immer näher. Die schickt dir von oben Kraft! Sie hätte nicht schlapp gemacht, die war eine wahre Kämpferin. Geh weiter, lass sie stolz auf dich sein! Und erst deine Mädchen. Verzichten nun drei Wochen in der Adventszeit auf dich und dann willst du heimkommen und sagen, es war nix. Nee! Nein, das will ich nicht. So, Mädchen, gebt mir Kraft, ihr sollt stolz auf eure Mama sein!‘
Ich stehe auf „Okay, Männer. Lasst uns weitergehen! Lasst uns auf den Gipfel steigen!“ Ich schaue in die erleichterten Gesichter von Hans (52) , Manfred (51) und Hans (52). Auch die hätten keine Lust gehabt, den langen Weg morgen noch mal in Angriff zu nehmen.
Reise nach Chile
Wir sind am 27. November von Frankfurt über Madrid, Sao Paulo nach Santiago de Chile geflogen. Ana, eine Freundin von Hans, holte uns vom Flughafen ab und brachte uns in die Stadt. Frühstücken, Erholen und die Ausrüstung ergänzen, war der Tagesplan. Die bergsteigerische Ausrüstung, Zelte, Schlafsäcke, Matten, Kocher und einen Teil der Nahrung haben wir von Deutschland mitgebracht. Kochtöpfe, Teile der Nahrung für unterwegs und den Brennstoff für die Kocher kaufen wir am Nachmittag in Santiago ein. Nach den grauen, kalten Tagen in Deutschland genießen wir die Sonne, Wärme und die Lebensweise in Santiago de Chile.
Deutsche Andenvereinshütte
Am 29. November fahren wir mit Anna zum Lo Valdes „Refugio Aleman“, einer Hütte des DAV, des Deutschen Anden Vereins! Sie liegt im Maipotal, oberhalb des Rio Volcán. In der Umgebung gibt es einige Mienen, in denen weißer Gips abgebaut wird. Die Aussicht auf die Bergwelt der Anden ist atemraubend, die freudige Anspannung bei uns allen steigt.

Am Nachmittag sortieren wir die Ausrüstung und verteilen sie gerecht auf alle Expeditionsrucksäcke. Wir wollten den Marmolejo im alpinen Stil besteigen, bei fair means und mit eigener Kraft. Wir planten maximal 14 Tage für die Tour ein. Also für 14 Tage Brennstoff für die Benzinkocher und Essen. Je höher Du steigst, umso wichtiger ist das Trinken. Der Körper verbraucht bei der Höhenanpassung ungeheuer viel Flüssigkeit. Flüssigkeit würden wir aus Schnee schmelzen, der enthält keine Mineralien. Salzige Bouillon sollte Abhilfe schaffen und Tee mit Zucker Energie spenden. Welche Nahrung gibt viel Kraft? Die Männer wollten den Tag mit chinesischen Reisnudelsuppen beginnen und mit Nudelgerichten am Abend abschließen. Ich hingegen hatte zuhause 14 Beutelchen mit Haferflocken, Kakaopulver, Zucker, gepopptem Amaranth und Milchpulver gefüllt. Jeden Morgen schüttete ich den Inhalt eines Beutelchens in meinem kleinen Essnapf-Kochtopf, packte Schnee dazu und setzte das auf einen Kocher. Kurz aufkochen und ein leckeres Frühstück genießen, das mir über den ganzen Tag Kraft gab.

Abmarsch im Tal des Rio Volcáno
Am 30. November starten wir zu unserer Expedition zum Marmolejo. Ana fährt uns noch etwa 3 km und setzt uns am Anfang des Pfades in Richtung des Volcáno San José, auf 2.255 m Höhe ab. Die Brücke über den Rio Volcáno sieht nicht vertrauenserweckend aus, aber den Lastwagen, der uns entgegenkommt, hält sie auch aus.
Die Rucksäcke haben um die 28 kg, gut, dass die Landschaft nur allmählich ansteigt. Die heutige Schwierigkeit besteht darin, sich Wege über die zahllosen Wasserläufe zu suchen. Sie führen aufgrund der Schneeschmelze viel Wasser. Das ist am breitesten Bach recht schwierig, denn die Brücke ist nicht mehr da. Hans findet einen großen, fast runden Stein im Bach. Auf diesen Klotz muss man springen, und von dort ans andere Ufer. Manfred wäre um ein Haar abgerutscht, aber Hans hilft. Ich traue mir den Sprung mit dem schweren Rucksack nicht zu. Also lasse ich mich der Länge nach, mit ausgestreckten Armen, über den Bach auf den Stein fallen. Meine Arme brechen fast unter dem Gewicht ein. Die Füße hole ich mit Hans Hilfe, der den Rucksack durch Zug ein wenig entlastet, nach und springe dann ans andere Ufer.

Der nächste Bachlauf ist noch ungemütlicher, wir laufen daran entlang, immer nach Osten in Richtung des Volcano, um eine geeignete Stelle zum Überqueren zu finden. Später gehen wir nach links in Tal, nun nach Norden.

Wir sind nun schon bis in den Schnee gekommen, aber alle Schneebrücken über den Bach sehen mir persönlich zu gefährlich aus. Endlich finden wir eine Stelle, die uns leicht passieren lässt.

Mein Körper sehnt sich nach der langen Wanderung durch das ganze Tal nach Ruhe. Gerne würde ich hier das Lager aufschlagen, aber die beiden Hansens haben einen bestimmten Lagerplatz im Sinn. So geht es noch über 500 Höhenmeter durch steile, sulzige, schwer zu gehende Schneefelder aufwärts. Manchmal auch durch Geröllfelder, dann wieder über Schnee.


Lager 1 am Marmolejo
Endlich haben wir den Lagerplatz 1 auf etwa 2.800 m erreicht. Noch den Schnee ebnen und die Zelte aufbauen. Den Kochplatz richten wir auf einem Felsen ein. Gleich den Topf mit Schnee aufstellen für das Tee- und Bouillonwasser.


Als die Sonne hinter einem spitzen Berg untergeht, wird es gleich sehr ungemütlich kalt. Die Daunenjacken halten warm und die Schlafsäcke erst recht.

Wir frühstücken im Sonnenschein, lassen vier Tüten Nudelgerichte und eine Brennstoffflasche in einer stabilen Plastiktüte unter dem Felsen zurück. Die werden wir bei der Rückkehr an der Stelle benötigen. Gemütlich wandern wir weiter das Tal hinauf.

Heute machen wir hauptsächlich Strecke, steigen mählich bergauf und bergab. Das ist für unsere Akklimatisation gut. Der Körper gewöhnt sich nur langsam an den anderen Luftdruck in der Höhe. Lager 2 richten wir auf einer von der Sonne gewärmten Schuttmoräne auf ca. 3.100 m ein.
Lager 2 am Marmolejo

Heute wollen wir eine Akklimatisationstour zu Lager 3 unternehmen. Wir nehmen die Nahrung für die nächsten Tage und Brennstoff mit. Wir steigen in schön angelegten Serpentinen mit den Steigeisen den harten Firn hinauf. Es ist bewölkt, Nebelfetzen ziehen immer wieder an uns vorbei. Nach einem Felsen wird der Firn zu steil und wir queren in den Schuttgrat. Später wird es wieder steiler Firn, der sich bis zum Joch hinaufzieht.


Auf dem Joch machen wir eine Pause und genießen die erste Aussicht nach Osten, nach Argentinien.

Wir suchen einen schönen geschützten Lagerplatz, da wir auf Lager 3 auch zwei Nächte verbringen werden. Zwei „Berggeister“ besprechen, was sie mit uns anfangen sollen.

Wir deponieren an einer markanten Stelle auf 4.175 m unsere Ausrüstung und steigen und rutschen dann zum Lager 2 zurück. Steige hoch, schlafe tief – dass ist die Zauberformel der Akklimatisation.

Mit der ersten Dämmerung starten wir am Morgen. Wir wollen durch das Firnfeld, bevor es zu warm wird. Mit dem Restgepäck sind die Rucksäcke schwerer als gestern, obwohl wir hier auch ein Depot für den Rückweg anlegen. Keine Wolke und kein Nebelfetzen bieten heute Schutz vor der Sonne. Der Firn wird schnell sulzig und schwer zu gehen.

Auf dem Joch angekommen, bin ich völlig erschöpft. In tiefen Zügen trinke ich Tee und esse einen Riegel. Dann schleppe ich mich zum Lager 3 und bewache das Teewasser, während die Männer das Lager einrichten. Heute will ich nur Tagebuch schreiben und schlafen. Ja, und schauen. Selten habe ich von meinem Bett so spektakuläre Aussichten. Kaum zu glauben, dass es bis zum Gipfel immer noch 2.000 Höhenmeter sind.
Lager 3 am Marmolejo




Heute ist Ruhetag. Jeder erkundet für sich das Plateau und genießt die absolute Stille in diesem Andenteil.

Am Nikolaustag steigen wir wieder mit einem Teil der Ausrüstung weiter hinauf, wir wollen Lager 4 ausfindig machen. Heute haben wir die ersten Felder mit Büßerschnee. Das ist eine Schnee-Besonderheit, die es nur auf der Südhalbkugel gibt. Vor zwei Jahren mussten die beiden Hans an dieser Stelle umkehren, weil durch die tiefen Rinnen kein vorankommen war und das Wetter auch schlechter wurde. Wir haben nun Schneereifen mit, mit denen wir die Schuhfläche verbreitern können. So hoffen wir, besser voran zu kommen.


Wir finden einen windgeschützten Lagerplatz auf 4.695 m, den auch schon andere genutzt haben. Steine sind als Windschutzmäuerchen aufgesetzt. Wir machen unsere Akklimatisationsrast in der Sonne und deponieren unser Material.

Nach dem Abstieg in Lager 3 gehen alle Männer gleichzeitig nach der Ankunft pinkeln. So hat die Nikoläusin Gelegenheit, Schokonikoläuse und Plätzchen in den Wanderschuhen zu verstecken. Sie haben den weiten Weg von Deutschland und hinauf auf Lager 3 unbeschadet überstanden. Na, so eine Überraschung!
Heute macht uns das Balancieren auf dem Büserschnee noch mehr Spaß und die Rucksäcke sind auch leichter geworden, weil wir auch in Lager 3 wieder ein kleines Depot zurückgelassen haben. Nach Zeltaufbau und Bouillon und Tee kochen steigen wir ohne Gepäck noch weiter bergan. Wir erkunden, wie wir morgen zu Lager 5 aufsteigen wollen. Nach dem Abendessen genießen wir die Aussicht, auch wenn es hier oben nun ohne Daunenjacke nicht mehr geht.
Lager 4 am Marmolejo

Wieder ist das Wetter schön und wir alles Restgepäck mit hinauf zum Lagerplatz 5. Das wird auch unser Gipfellager sein. D.h. von hier wollen wir morgen, eigentlich heute Nacht, zum Gipfel starten. Die Aussicht wird immer spektakulärer. Ein Teil der Berge, deren Fuß wir passiert haben, liegen nun mit ihren Gipfeln schon deutlich unter uns.

Die Höhe ist immer deutlicher zu spüren. Ein aperes Geröllfeld wird als Lager 5 bestimmt, wir sind auf 5.065 m Höhe. Erschöpft sinken wir auf die warmen Steine und schlafen alle ein. Hans ruft plötzlich „Raus aus der Sonne. Los Zelte aufbauen und Schneewasser schmelzen.“ Oje, da hat er recht. Die Sonne und dünne Luft trocknen den Körper schnell aus. Trinken wollen wir gerne, aber Essen? Nee, Hunger haben wir nicht, aber wir kochen trotzdem zwei Portionen Tütennudeln, denn der Körper sollte Nahrung bekommen.
Lager 5 am Marmolejo


Gipfeltag Marmolejo
Wir gingen früh schlafen. Um Mitternacht klingelte der Wecker. Teewasser kochen, warm anziehen, Frühstücken und am 9. Dezember um 1 Uhr in der Nacht starteten wir zum Gipfelaufstieg. Wir benötigten die Stirnlampen nicht, denn der Vollmond schien hell auf die Schneefläche. In der Ferne konnte man den Lichterschein von Santiago de Chile erkennen. Ich fühlte mich schlecht und schlechter. Bei einer Pinkelpause entdeckte ich, dass ich meine Periode bekam. Auch das noch! Zusätzlich also auch noch Bauchweh. Ich sagte, dass ich zurückgehen würde, gleich würde es dämmern, die Männer sollten allein auf den Gipfel gehen. Als Antwort wurde mir mitgeteilt, dass man mich, wenn ich mich nicht wohlfühlte, nicht allein zum Lager zurückgehen lassen würde. Alle würden zurück gehen! Und in der nächsten Nacht würden die Männer von neuem starten, während ich im Lager warten würde.
Und dann sprach mein persönlicher Held Manfred die Worte, die mich motivierten und mit denen ich mich mit meinen Gedanken motivieren konnte. Just als ich verkündete, dass ich heute mit auf den Gipfel gehen würde, schickte die Sonne ihr erstes Licht.

Trotzdem ging es nur zäh weiter. Der Marmolejo war – damals zumindest – kein bergsteigerisch anspruchsvoller Berg. Es ist ein Berg der weiten Wege, die nur allmählich ansteigen. Der komplette obere Teil besteht nur aus kleinem Steinschutt, teilweise mit Schnee bedeckt, tiefgründig oder hartem Firn. Manchmal machten wir einen Schritt von 30 cm nach vorne und rutschten 20 cm zurück. Manchmal klebte Permafrost den Schutt zusammen und die Steigeisen konnten greifen. Manchmal musste einer vorgehen und im Schnee spuren. Oft machten wir Pausen, es fehlte so an Atemluft mit Sauerstoff!


Ich schaute gar nicht mehr hinauf, sondern nur noch vor mich. Manfred sprach liebe oder barsche Worte, je nachdem, wie er sich selbst gerade fühlte und das half mir sehr. Ich sprach viel mit meinen Kindern, mit meiner vor vier Jahren mit erst 60 Jahren verstorbenen Mutter, lenkte mich so von den Gedanken an den nächsten Schritt immer wieder ab. Plötzlich gingen die Männer schneller und ich blickte auf. Nur noch eine kleine Erhebung, dann ging es auf allen Seiten bergab, der Gipfel war erreicht. Ein eisiger Wind fegte von Nordosten über den Gipfel, es war saukalt und äußerst ungemütlich, trotz des Sonnenscheins. Nach Umarmungen, Berg Heil Wünschen und Fotoshootings versuchten beide Hans zusammen unsere Gipfelfahne irgendwie im Boden zu befestigen.






Nach nur kurzem Aufenthalt stiegen wir bergab. Da der Gipfelaufbau nicht steil ist, war die Wegstrecke lang und wir verloren nicht sehr schnell an Höhe. Und es war immer noch sehr kalt.

Als wir die Zelte sahen, macht Manfred einen Purzelbaum im Schnee. Gerne würden wir noch weiter absteigen, in Lager 4, aber wir sind zu platt. Schnell Teewasser gekocht, etwas getrunken und dann schlafe ich 13 Stunden am Stück.
Abstieg vom Marmolejo
In der Dämmerung stehen wir auf, packen ohne Frühstück zusammen, wir wollen aus der Kälte und dünnen Luft raus. Bei Lager 4 machen wir unser Frühstück und gehen bald weiter nach unten. Noch greifen die Steigeisen im harten Firn.

In Lager drei packen wir unsere Depotstücke ein, laufen weiter zum Joch und rutschen auf dem Hosenboden und mit lauten Hallo das Firnfeld hinunter. In Lager 2 halten wir erst wieder richtig an. Hier ist es beinahe angenehm warm und wir machen große Wäsche.

Ich liege rücklings in der Sonne, tanke die Wärme und entdecke über mir einen Condor. Ein wenig Thermik und er steigt und steigt und steigt. Er hat mit Höhe und Akklimatisation kein Problem.

Wieder gehen wir sehr früh am Morgen los. Die Landschaft hat sich in den vergangenen Tagen stark verändert. Die Sonneneinstrahlung hat den Schnee tauen lassen und die Bäche führen noch mehr Schmelzwasser.

Wir kommen gut voran und lösen an Lager 1 das Depot auf. An einer Engstelle sind wir froh, dass sie noch im Schatten liegt.

Wenig später treffen wir auf die Tatzenabdrücke eines Pumas. Ich gehe davon aus, dass er keine vier Menschen angreift, die noch dazu mit Trekkingstöcken und Eispickeln bewaffnet sind. Die Männer sind sich da nicht so sicher. Aber zumindest stimmen sie mir nun zu, dass wir nicht noch mal ein Lager aufschlagen, sondern bis zur Hütte Lo Valdes weitergehen.

Es wird immer grüner und wärmer, längst hängen alle Jacken an den Rucksäcken.

Am letzten Abhang liegt noch Schnee und wir rutschen wieder etwa 200 Höhenmeter auf dem Hosenboden ab. Unter uns ist die Ebene von vielen neuen Bächen durchzogen.

Wir passieren die Stelle, an der Ana uns herausgelassen hat, wir können nach der nächsten Kurve bereits die Andenvereinshütte sehen. Ich bilde mir sogar ein, dass ich bereits das Bier rieche. Die Brücke, die uns beim Beginn unserer Tour bereits so fragil vorkam, ist der Schneeschmelze zum Opfer gefallen. Die Bauarbeiter, die herumstehen erklären, dass wir einen Umweg machen müssen. Auf der rechten Flussseite 6 km weiter laufen, beim Mienendorf über die Brücke gehen und dann wieder 4 km bergauf zur Hütte. Aber die beiden Hans haben eine andere Idee. Wir haben jetzt 11 Tage Kletterseile und Gurte mitgetragen, dann können wir die doch auch benutzen! Und nasse Schuhe sind 2 km vor dem Ziel auch egal! Mir ist die Sache nicht ganz geheuer, denn der Fluss hat eine wirklich starke Strömung.

Hans sichert Hans, der ohne Probleme durch den Fluss marschiert und das Seil auf der anderen Seite fixiert. Ich gehe als nächste. Meine Fototasche habe ich ganz oben, zwischen Kinn und Brust befestigt. Ich klinke meinen Karabiner ins Seil und laufe los. Leider trete ich in ein Loch und kann aus eigener Kraft nicht wieder hochkommen. Hans eilt zur Hilfe und schon bin ich drüben, ziemlich nass, aber mit trockener Fototasche.

Manfred geht es ähnlich wie mir, er flucht laut. Das Wasser brodelt nach der Kante wirklich ziemlich stark.

Lo Valdes – Rückkehr in die Hütte
Plitsch, platsch und quitsch, quatsch macht unsere Kleidung und unsere Schuhe auf den letzten zwei Kilometern. Aber endlich ist es geschafft. Völlig dreckig, aber fröhlich postieren wir uns zum Erfolgsfoto vor der Lo Valdes Hütte. Ein Gipfel ist immer erst bezwungen, wenn Du wieder im Tal bist. Und das haben wir geschafft!

Wir ziehen die nasse Oberbekleidung aus, setzen uns in den Schatten und werden erst mit Bier und anschließend mit Kaffee und Kuchen verwöhnt, während wir darauf warten, dass der Warmwasserboiler das Duschwasser erwärmt.

Zum Abendessen bekommen wir frische Salate und Gemüse und zum Nachtisch frisches Obst. Wie gut das Schmeckt. Hans hat auf den Gipfel und wieder hinunter vier Zigarren getragen. Nach dem Abendessen müssen wir Gipfelbezwinger diese Gipfelzigarren anzünden.

Ich als Nichtraucherin stelle fest, dass die Zigarre stärker qualmt, wenn ich hinein blase, statt daran zu ziehen. Schnell nimmt mir Hans die Zigarre weg, dazu ist sie zu schade, sagt er. Ich grinse, und habe mein Ziel erreicht, ich muss nicht rauchen!
Ich bleibe nicht lange auf, sondern ziehe mich zurück. Endlich allein in einem Zimmer sein, meine Gedanken schweifen lassen. Ich liege in einem richtigen Bett und bin dankbar. Dankbar dafür, die Möglichkeit gehabt zu haben, diesen Berg zu besteigen. Hans hat mich dazu eingeladen, herzlichen Dank. Ich hatte die finanziellen Mittel und die Kondition. Meine Kinder haben mir frei gegeben, danke auch euch. Ich bin unendlich dankbar, unbeschadet einen 6000er bezwungen zu haben. Und sehr sicher, dass ich nie wieder einen hohen Berg besteigen werde. Nein, diese Tortour war an meinen Grenzen, fast über meinen Grenzen.
Fünf Monate später, im Mai, fragte mich mein Bergkamerad Klaus, ob ich mit ihm in den Kaukasus reise? Er möchte den Elbrus, mit 5.642 m Europas höchster Gipfel, besteigen. Nach meiner 6000er Erfahrung würde er mir das zutrauen. Tja, alle guten Vorsätze vergessen – natürlich fahre ich mit.
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